ANTONI GAUDÍ     1852-1926                                                     zurück  I  drucken
Ein Leben für die Architektur

"Die Stärke von Antoni Gaudí als Architekt lag in seinem sprühenden Einfallsreichtum beim Erfinden von Formen. Die Vielfalt und Ausdruckskraft dieser Formen als reine Skulpturen genügen, um ihn als einen bemerkenswerten modernen Künstler zu kennzeichnen. Aber sie sind darüber hinaus das Ergebnis ungewöhnlicher Tragwerkslösungen, eines phantasievollen Einsatzes von Material und eines einzigartigen Gespürs für das Ornament - drei traditionelle Attribute eines Meisterarchitekten. Fügt man diesem noch seine Fähigkeit im Umgang mit so schwer greifbaren architektonischen Kategorien wie Raum, Farbe und Licht dazu, so wird deutlich, warum wir heute von seinen wenigen  Bauten so fasziniert sind"
(George Collins, amerikanischer Gaudíforscher, New York 1960)

Casa Vicens   1883-1888                                                                           zu den Bildern   »»»

Das Sommerhaus für einen reichen Ziegeleibesitzer und Kachelfabrikanten war Gaudís erster privater Auftrag. Als er mit dem Bau begann, hatte er keinerlei praktische Erfahrung. Es zeigt sich aber bereits hier, dass er Phantasie mit Eigenwilligkeit verbinden konnte. Der Grundriss ist im Wesentlichen rechteckig und das Gebäude lebt von der Ornamentik. Es fängt unten ziemlich spanisch an und wird nach oben immer maurischer. Die Materialien sind einfach: ockerfarbener Naturstein, rohe Ziegelsteine und Keramikfliesen. Die geometrischen Ornamente muten arabisch oder evtl. persisch an, während andere Fliesen mit kräftig bunten, einheimischen Tagetesblüten bemalt sind. Die Türmchen erinnern vage an maurische Bauten und die schmiedeeisernen Gitter im Garten an den Jugendstil. So wird die Casa Vicens zu einer Stil-Collage in einem unverwechselbaren, ihm eigenen Stil. Auch im Inneren des Hauses setzt sich diese überreiche Ornamentik in den verschiedenen Stilrichtungen fort. Vicens ließ ihm freie Hand und alle Räume sind aufwändig bis ins Detail mit großer Symbolkraft durchgestaltet.

 

Finca Güell   1884-1887                                                                             zu den Bildern   »»»

Der erste Auftrag für Gaudí von Eusebio Güell ist die repräsentative Gestaltung des Eingangsbereiches seines damals außerhalb von Barcelona liegenden Landgutes in Form eines Pförtnerhäuschens, eines Reitstalles und einer Reitschule. Die 3 Bauten knüpfen an den mudejarischen Stil an, sie sind sogar stilechter. Auch hier zeigt sich Gaudís Genialität, aus einfachen Materialien etwas Großartiges zu schaffen. Abstrakte, einheitliche Fassadenmusterung und zurückhaltende maurische Türmchen lassen eine geschlossene Einheit entstehen. Die Innenausstattung wirkt kühn und sachlich im Vergleich zur Außendekoration und ist ein Spiel mit Licht und Schatten. Wichtiger als die Gebäude aber dürfte das berühmte schmiedeeiserne Drachentor sein. Ein Meisterwerk der katalanischen Schmiedekunst. Es ist 5 Meter breit und  nur aus einem Stück gearbeitet. Der Drache als "Wächter des Gartens" ist wahrscheinlich vom Hesperidenmythos inspiriert. Diesem Mythos zufolge bewachte ein geflügelter Drache den Garten, in dem 3 wunderschöne Nymphen lebten. Herakles gelang es, den Drachen zu überwältigen und in den Garten einzudringen. Das Tor ist ein frühes und sehr eindrucksvolles Beispiel für die reiche Symbolik in Gaudís Schaffen. Wenn es geöffnet wird, hebt eine Kette die Krallen des Drachen an, als ob er den Besucher angreifen wolle.

 

Palacio  Güell   1886-1889                                                                         

In einer engen Straße in Barcelona gelegen, kommt das Gebäude eigentlich gar nicht richtig zum Ausdruck. Die Fassade des unteren Stockwerkes ist üppig ausgestaltet. Besonders auffällig sind die skurrilen Türme, mit denen Gaudí von nun an seine Dachaufbauten verkleiden wird und die die banale Funktion der Schornsteine verdecken sollen. Ein Märchengarten auf dem Dach. Güell war mit einem beträchtlichen Vermögen aus Amerika zurückgekommen und gab nun diesen Stadtpalast in Auftrag. Sein Finanzverwalter soll während der Bauzeit geklagt haben:" Ich fülle die Kassen von Don Eusebio und Gaudí leert sie ihm". Der Gegenwert war aber mit Geld nicht aufzuwiegen. Die Fassade erinnert an venezianische Renaissance, durchbrochen von zwei riesigen Toren mit Eisengittern. Sie weisen zum ersten Mal die später für seine Werke typische parabolische Bogenform auf, weder gotischer Spitzbogen noch arabischer Rundbogen. Durch diese Tore sollten Besucher mit den Kutschen in das Haus fahren können, ebenfalls eine Neuerung in der Architektur Barcelonas. Der Innenhof erinnert an eine Kathedrale mit einem Sternenhimmel. Besonderer Wert wird auf die Gestaltung der Decken gelegt und es tauchen immer wieder verdrehte und verwundene Formen auf, die den Betrachter verblüffen. Mit diesem Palais taucht Gaudí aus der Anonymität auf. War anfangs in Presseberichten nur der Bauherr erwähnt, so wandte sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit bald dem jungen Architekten zu, der so unbekümmert neue Wege beschritt.
Der Palast wird im Moment  restauriert, sodass man ihn leider nicht besichtigen kann.

 

Colegio Teresiano   1888-1889                                                                 zu den Bildern   »»»

Sparsamkeit und Kargheit waren die obersten Gebote des Ordens der Heiligen Theresia von Avila und dem hatte sich auch Gaudí beim Bau des Stammhauses zu unterwerfen. So entstand ein für Gaudís Verhältnisse asketischer Bau, der sich an der Philosophie der Gotik, also an die Zeit der Gründung des Karmeliterordens, orientiert. Seine weltlichen Bauten hatten ihn eher als Architekten mit überschäumendem Bautemperament ausgewiesen. Hier waren aber seine finanziellen Mittel beschränkt. Rechteckformen und gotische Spitzbögen sind das einzige Stilelement. Als Materialien werden Natur- und Ziegelsteine verwendet. Der Ordensgründer Enric d'Ossó i Cervelló macht ihm eines Tages Vorhaltungen wegen seiner Ausgaben, worauf Gaudí geantwortet haben soll: "Jedem das Seine, Pater Enric. Ich baue Häuser, Ihr lest Messen und Gebete". So gönnte sich Gaudí als einzigen Luxus einen Kamm aus Ziegelsteinzinnen und falsche, gedrehte Ziegelbögen in den großen Hallen. Er lies sich ganz auf die Thematik des Ordens ein. Mit dem Bau des Ordenshauses wird Gaudís von nun an ständig zunehmende Beschäftigung mit symbolischen Verweisen perfektioniert. Man muss genau hinsehen, wenn man sie entdecken will. Das Ordenshaus der Mystikerin ist selbst ein Mysterium.

 

Casa Calvet   1898-1900                                                                           zu den Bildern   »»»

Die Casa Calvet, ein kombiniertes Geschäfts- und Wohnhaus, ist Gaudís konventionellstes Bauwerk und er bekam später auch eine Auszeichnung der Stadt dafür. Es war seine einzige öffentliche Auszeichnung, weil man vermutlich erleichtert war, dass er sich in einer feinen Wohngegend nicht wieder solch skurrilen architektonischen Launen erlaubt hatte. Ärger gab es dagegen mit den Nonnen eines nahen Klosters, wegen der engen und hohen Bauweise. Daraufhin legte Gaudí einen Sichtschutz an und erwies sich abermals als Praktiker. Seinen ganzen schöpferischen Eifer setzte er in den oberen Partien des Hauses ein, indem er 3 Märtyrerköpfe und 2 Kreuze anbrachte sowie eine Kranvorrichtung zum Hinaufziehen von Möbeln. Es passte zu Gaudís Eigenwilligkeit, dass all diese Elemente von der Strasse aus nicht zu sehen waren. Als Güell eines Tages vorbei kam und fragte, was denn das dort oben für merkwürdige "Verwicklungen" seien, antwortete Gaudí mit dem ihm eigenen Hintersinn: "Das sind Kreuze und in der Tat "Verwicklungen" und für viele ein Ärgernis". Unterschiedlich gestaltete Balkone und große, nicht flächig wirkende Natursteine lassen die an sich nüchterne Fassade an Größe gewinnen. Für die Hauptwohnung des Bauherren werden auch die Möbel von Gaudí ganz im Jugendstil gestaltet.

 

 

Krypta der Colònia Güell   1898-1917                                                       

Der Grund für die 10-jährige Planungszeit war, dass die Kirche als Probe und Kontrolle für seine Theorien gelten, die er später bei der Sagrada Familia verwirklichten wollte. Bei ihm ist Statik nicht nur Berechnung, sondern ein organisches Gefüge. Als Hilfsmittel dienten ihm ein Fadenmodell aus Schnüren, an denen er mit Schrotkugeln gefüllte Säckchen aufhing. Auf den Kopf gestellt ergab es die wirklichkeitsgetreue Struktur.  Das Gebäude liegt in einem Pinienhain, wird in das Terrain eingebunden, von dem es ganz aufgenommen zu werden scheint. Der Säulengang der den Vorhof zu der eigentlichen Krypta bildet, wirkt wie eine allmähliche Vorbereitung auf den Kirchenbau greift die Struktur des Pinienwaldes auf und erscheint wie ein gleichmäßiger Übergang von der Natur zur Architektur. Die Hauptlast des Innenraumes tragen 4 geneigte Basaltsäulen wie Baumstämme, zwischen denen sich das Nervennetzwerk, Baumkronen ähnlich, aus Flachziegeln spannt. Keine Säule gleicht der anderen so wie kein Baum dem anderen gleicht. Zur Ausschmückung verwendet Gaudí nur einfachste Materialien und erreicht damit eine fast expressionistische Ausdruckskraft. Die farbigen Glasfenster scheinen ganz der Natur abgeschaut zu sein und erinnern an geronnene Tropfen, in denen sich das Licht bricht. Die Gitter bestehen aus ausrangierten Webernadeln, damit sollten wohl die Betenden ihr tägliches Umfeld auch in der Kirche wiederfinden.
Für den Architekturprofessor Josef Wiedemann  besitzt  "der Innenraum eine magische, geheimnisvolle Raumfülle, in der wir gleichsam unseren eigenen, atmenden Leib erfahren"  

 

Bellesguard   1900-1909                                                                           zu den Bildern   »»»

Ein Bauwerk wurde zu einem Symbol für Gaudís durch und durch katalanische Gesinnung: ein Landhaus für Dona Maria Sagués auf dem Grund und Boden eines ehemaligen Landsitzes des letzten Königs von Barcelona. Nicht Gaudís avantgardistische Architektur sondern mittelalterliche Elemente bestimmen den Bau. Gotische Spitzbogen und ein Spitzturm wie bei mittelalterliche Palastbauten sowie die strenge Fassadengestaltung dominieren. Die Mosaikfische am Haupteingang stellen einen symbolischen Verweis auf die Geschichte dar, als Barcelona noch eine große Seemacht war. Trotz der herben Bauform und den düsteren Farben fügt sich das Haus harmonisch in die Umgebung ein. Das Dach besteht aus unterschiedlichen Steinformen und ist ein einziges Formenmosaik. Die Mauerzacken erinnern wieder deutlich an das Mittelalter. So kann das Gebäude als ein Monument für Barcelonas längst vergangene Blütezeit empfunden werden.

 

Park Güell   1900-1914                                                                              zu den Bildern   »»»

Eigentlich als Wohnparadies in Form einer Gartenstadt geplant, ist der Park Güell heute eine öffentliche Erholungsanlage. 60 von der Sonne beschienene Bauplätze sollten an betuchte Bürger verkauft werden. Dieser Plan scheiterte kläglich und nur 2 Parzellen wurden verkauft, wovon eine Gaudi aus praktischen Erwägungen heraus selbst bewohnte. Aus dem Areal aber ist ein Kunstwerk entstanden, eine Riesenskulptur aus einem ganzen Berg als Rohmaterial. Wie so oft bei Gaudí besteht der Park aus höchst unterschiedlichen Elementen, die sich eigentlich ausschließen: bunte, grelle Farben, eine den Park umspannende unendlich lange, verzierte  Mauer und die schlangenförmige Bank. Beim Bau und der Ausgestaltung verwendete er Materialien, die er auf den Gelände vorfand. Die Keramikabdeckungen dienten einerseits als Regenschutz, zum anderen bestehen sie aus preiswertem Abfall, Schutt und Ausschuss der örtlichen Keramikbetriebe. Er entwickelte damit eine Collagetechnik, das "Trencadis", das erst in den 20 Jahren zur vollen Blüte kommen sollte. Viele Elemente haben zusätzlich zum Schmuck und dem Symbolgehalt auch praktische Funktionen. So dienen der Drachen- und Schlangenbrunnen im Eingangsbereich als Überlaufventil für die dahinter liegende Zisterne. Geht man die Eingangstreppe hinauf, kommt man in eine Säulenhalle, die an einen griechischen Tempel erinnert. Die Säulen sind gleichzeitig Wasserablauf für das Dach, das  den Marktplatz oder das Amphitheater symbolisieren sollte. Die "Schlangenbank" bietet möglichst vielen Menschen Platz und ist den physiologischen Gegebenheiten des menschlichen Körpers angepasst. Um dessen Formen genau zu treffen soll er einen nackten Mann auf den noch formbaren Gips gesetzt haben. Die Strassen im Park verlaufen, um Einebnungen zu vermeiden, häufig in Windungen und unter Kolonnaden. Gleichzeitig wird damit Schatten gespendet. Im Park Güell ist die Architektur nicht nur der Landschaft angepasst, sie scheint aus ihr herauszuwachsen.

 

Kathedrale von La Palma   1902-1914                                                       zu den Bildern   »»»

Im Jahr 1899 trat der Bischof von Palma de Mallorca mit der Bitte an Gaudí heran, das Innere der Kathedrale von Palma, einem Meisterwerk der katalanischen Gotik,  neu zu gestalten und die Kirche ihrem ursprünglichen Charakter wieder anzunähern. Im Wesentlichen bedeutete es die Neustrukturierung des Mittelschiffs, was für GaudÍ eine große Herausforderung darstellte. Er verlagerte den Chor aus dem Mittelschiff in das Presbyterium und erreichte damit eine größere Raumwirkung. Mit Lampen und einigen Baldachinen wurde das historische Gesicht verändert. Im Altarraum plante er ein komplexes Spiel mit symbolischen Verweisen und eine prachtvolle Lichtgestaltung mit bunten Scheiben. Es kam aber im Lauf der Zeit zu großen Kontroversen mit dem Domkapitel, das eine "Restauration" und Wiederherstellung des Alten im Sinn hatte. Gaudí dagegen wollte "Reformation" im Geiste der Kathedrale. Dies ging den Geistlichen zu weit. Gaudí war einfach zu kreativ und beendete 1914 seine Arbeit in Mallorca, ohne das Werk in seinem Sinn zu vollenden. Danach  nahm er keine Aufträge mehr an und widmete sich nur noch der Sagrada Familia.

 

Casa Batlló  1904-1906                                                                             zu den Bildern   »»»

"La mancana de la discordia", die Häuser der Uneinigkeit , nennt man in Barcelona wegen ihrer Unterschiedlichkeit drei Bauwerke der Modernisme am Passeig de Gràcia, die Casa Amatller von Puig i Cadafalch, die Casa Lléo Morera von Domènech i Montaner und eben  Gaudìs Casa Batlló, wobei Gaudí sicher nicht uneingeschränkt zum Modernisme gerechnet werden kann.
Professor Juan Bassegoda Nonell, Präsident des Vereins der Freunde Gaudís schreibt:
"Gaudí erlebte die Euphorie der Renaixença und den Modernisme in ihrer ganzen Fülle, obgleich er beiden Bewegungen fernblieb, denn seine besondere Art des Lebens und die Architektur zu begreifen, ließen ihn am Rande der Politik und Modeströmungen der Kunst stehen.
Wie so oft in seiner Karriere konnte Gaudì hier nicht neu aufbauen sondern war an vorhandene Bausubstanz gebunden, da durch einen Umbau eine völlig neue Gestalt geschaffen werden sollte. Und völlig neu wurde das Gebäude in der Tat selbst für Gaudís Verhältnisse. Mit wenigen Kunstgriffen täuschte er Größe vor. Hier sind es Elefantenbeinen gleiche dicke Säulen, die um den Eingang herum Arkaden bilden. Die Tatsache, dass sie 60cm auf den Bürgersteig ragten, brachte ihm auch gleich Ärger mit den Behörden ein. Die Fenster wurden mit Balkonen versehen, die wie Honigtropfen an den Simsen zu kleben schienen. Die Fassade besteht aus Mosaiksteinchen, die in der Sonne glitzern und der Keramikanteil nimmt nach oben hin immer mehr zu. Die ständig wogende Linienstruktur des Hauses setzt sich im Inneren fort. Alles wirkt wie der Bauplan organischer Zellen und wirkt als ob der Architekt sich von allem Dagewesenen löst und nur seinen eigenen Visionen und Träumen nachhängt.

 

Casa Milà   1906-1910                                                                               zu den Bildern   »»»

Allgemein bekannt als "La Pedrera", der Steinbruch, ist das Gebäude seit 1984 ein Weltkulturerbe der UNESCO und das letzte der 3 von Gaudì gebauten Wohnhäuser. Es fehlen hier der faszinierende Umgang mit Farbe und die der üppige Einsatz verschiedener Materialien. Vielmehr ist es die Größe, die Gaudí gereizt haben mag. In jedem seiner Gebäude schuf er Neuerungen, die später nicht selten Eingang in die Architektur Barcelonas fanden. In der Casa Milà werden die üblichen eckigen Patios durch runde Innenhöfe ersetzt, die sich nach oben trichterförmig und scheinbar alles ansaugend erweitern. Die verblüffende plastische Bewegtheit ihrer Fassade hebt den Eindruck der Schwere eines solch großen Gebäudes auf. Die immer imposanter  werdenden skurrilen Schornsteine sind berühmt und haben zu jeder Zeit die Fantasie der Menschen angeregt. Man kann sie für abstrakte Skulpturen oder für Gruppen behelmter Krieger halten. Japaner vergleichen sie mit Buddha, Kinder mit Eistüten und Psychoanalytiker wollen in ihnen die sexuelle Frustration Gaudìs erkennen. Es ist ein Paradoxon: ein künstlicher Naturbau und zugleich die Zusammenfassung all jener Formen, für die er inzwischen berühmt geworden war. Nichts an dem Haus ist gleichförmig. Jedes Stockwerk hat einen anderen Grundriss, was nur möglich ist, weil auf tragende Wände verzichtet wird. Alles ruht auf Säulen und Trägern.
Josef  Wiedemann sagt über die Casa Milà:
"Die Formen dieses ungewöhnlichen Hauses sind wie von inner heraus getrieben, gestreckt, gestaucht und zur Einheit verlötet. Innen und Außen, Konkaves und Konvexes. Ganzes und Einzelnes, Wand und Dach sind ein ungeteiltes Ganzes, vom gleichen Rhythmus durchpulst. Was üblich mit Fassade bezeichnet ist, wird in der Senkrechten zur weit geschwungenen Fläche; zum eingebuchteten Loch, was sonst nur Fenster ist, und in der Waagerechten zur bewegten Landschaft, was bis zur Moderne als Dach erschien"
Gaudís Casa Milà blieb für immer einzigartig und übte immer wieder eine große Faszination auf seine Zeitgenossen aus, allerdings nur in äußeren Details. Dabei vergaß man gerne, dass Gaudí sich auch immer sehr von praktischen Überlegungen leiten ließ, die zukunftsweisend wurden, wie z. B. die Vorform einer Tiefgarage im Untergeschoss.

 

Sagrada Familia   1883-1926                                                                    zu den Bildern   »»»

Gaudís Hauptwerk, die Sagrada Familia ist zugleich sein Lebenswerk. Seine Hoffnung, die Kirche in 10 Jahren fertig stellen zu können scheiterte an der Tatsache, dass es eine Sühnekirche, also eine Kirche aus Spendenmitteln werden sollte. Während der Bauzeit studierte er nicht nur sakrale Bauweise, sondern auch immer wieder die Liturgie des Gottesdienstes. Er "entwickelte" während des Bauens. Mögen die verschiedenen Elemente wie Türen, Fenster und Türme zunächst wie reine sinn- und phantasievolle Architektur wirken, so erfüllen sie alle eine für Gaudí ungleich wichtigere symbolische Funktion. Gaudí wollte nicht nur ein Gotteshaus bauen, sondern einen Katechismus aus Stein, in dem der Besucher wie in einem Buch lesen konnte. Die Kirche als mystischer Leib Christi, die Türme die 12 Apostel. Die Fassaden spiegeln Christus als Mensch, als Erlöser der Menschheit und als Richter über Leben und Tod. Dabei sind die optimistischen Eemente in die Ostfassade gemeißelt. "Ex oriente lux"- aus dem Osten kommt das Licht, das Heil. Immer wieder findet man Schriften und Zeichen, die die starke Symbolkraft untermauern sollen. Im Inneren kommt er ganz ohne gerade Pfeiler und Strebebögen aus. Die Verbindung von Parabolbögen und schrägen Pfeilern kann die Last auch großer Gewölbe aushalten. Was die Tragfähigkeit anbelangt, war der Eukalyptusbaum sein Vorbild. So wirkt das Hauptschiff wie ein Wald aus Stein. Gaudí selbst sprach davon, dass "bei ihm der klassische Gegensatz von Last und Tragen aufgehoben ist". Selten findet man eine architektonische Theorie derart plastisch in die Tat umgesetzt.
Nach Gaudís Tod 1926 war der Modernisme aus der Mode gekommen und eine allgemeine Gegnerschaft rüstet sich in Barcelona gegen einen eventuellen Weiterbau der Sagrada Familia. "Mort el gos, morta la rabia" (Mit dem Hund stirbt auch die Tollwut) sagt ein katalanisches Sprichwort. Gaudí war nicht mehr, also gab es keinen Grund, sein Werk weiterzuführen. Nach 1952 zum 100.Geburtstag Gaudís lebt die Erinnerung wieder auf und seine geniale Architektur wird wiederentdeckt. Nicht zuletzt haben auch viele begeisterte Besucher dazu beigetragen, dass an der Sagrada Familia seither weitergebaut wird und die Kirche heute zum Wahrzeichen Barcelonas geworden ist.

  

"Seine Bauten sind wohltuende Oasen in der Öde der Zweckbauten, sind Edelsteine in dem einförmigen Grau der Zeilen, sind von melodischem Rhythmus durchpulste Gebilde in der toten Masse der Umgebung."
(Josef Wiedemann 1974 anlässlich der Internationalen Handwerksmesse in München)

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