ANTONI GAUDÍ     1852-1926                                     zurück  I  Lebenslauf drucken
Ein Leben für die Architektur

"Der genialste aller Architekten und der katalanischste aller Katalanen"
(Joaquim Torres García, ein Freund und Mitarbeiter)

Antoni Gaudí i Cornet wurde am 25. Juni 1852 als 5. Kind eines Kupferschmiedes in Reus unter ärmlichen Verhältnissen geboren. Die Mutter stammte aus einer Töpferfamilie und starb 1876. Er litt schon als Kind unter Rheuma und war durch die Krankheit ein Leben lang in seiner Bewegung stark eingeschränkt. Sein schlechter Gesundheitszustand schien ihm aber die Zeit gelassen zu haben, die Welt um sich herum eingehend zu betrachten. Als frühreifes Kind entwickelte er einen scharfen Blick für Details, vor allem in der Natur, der später alle seine Bauwerke prägte. Im Alter von 14 Jahren wurde sein Talent offenkundig, als er sich durch außergewöhnliche Leistungen in der Geometrie hervortat. Er entwarf Bühnenbilder für Theateraufführungen in der Schule und entwickelte das nicht realisierte Projekt der Restaurierung des Klosters Poblet.

"Ein mich beherrschender Gedanke trieb mich dazu, mich mit der Stabilität von Bauwerken zu befassen"
sagte Gaudí später über jene Zeit seiner Jugend.

1868 übersiedelte er nach Barcelona, um an der Escuela Técnica Superior de Arquitectura zu studieren. In seinem Studium zeigte er nur durchschnittlichen Leistungen, fiel aber immer wieder durch seinen eigenwilligen Charakter auf. Außerhalb des Unterrichtes beschäftigte er sich intensiv mit historischen, politischen und wirtschaftlichen Themen, um genauer zu verstehen, wie soziale Faktoren die Gestalt der Gebäude beeinflussen. So entfernte er sich schnell von der schulmäßigen Architektur und begann, schon in jungen Jahren nicht zu imitieren, sondern auf Bestehendem aufzubauen. Das Bewusstsein, Neues und Andersartiges in einem bereits existierenden Material zu schaffen, durchdrang alle seine Schaffensperioden.

Er sagte einmal über sich selbst:
"Wollen sie wissen, wo ich mein Vorbild gefunden habe? Ein aufrechter Baum: er trägt seine Äste und diese die Zweige und diese die Blätter. Und jedes einzelne Teil wächst harmonisch, großartig, seit der Künstler Gott es geschaffen hat. Dieser Baum braucht keine äußere Hilfe. Alle Dinge sind in sich ausbalanciert. Alle Dinge sind im Gleichgewicht."

Gaudí war ein stattlicher Mann mit vollem blonden Haar und tiefblauen Augen, in Spanien eine ungewöhnliche Erscheinung. Nach dem Studium begann er, offenbar als Entschädigung für die Entbehrungen der frühen Jahre, das Leben eines Dandys mit modisch-raffinierter Kleidung und weltmännischem Auftreten und bewegte sich mit Vorliebe in der feinen Gesellschaft von Künstlern und Intellektuellen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Barcelona eine aufstrebende, aus allen Nähten platzende Stadt. Die Baumwoll- und Eisenindustrie blühte und es gab großen neuen Reichtum bei Industriellen, die sich gerne mit Künstlern umgaben und als Mäzene auftraten. Für Gaudi war das eine ideale Ausgangssituation. Das erklärt auch, warum ein Großteil seiner Werke in Barcelona zu finden sind. Es gab einfach genug Aufträge für ihn und er hatte es nicht nötig, anderswo zu arbeiten. Sein neuer gesellschaftlicher Umgang hatte eine neue Geisteshaltung zur Folge: antikirchlich und sehr offen für soziale Themen. So verwundert es auch nicht, dass eines seiner ersten großen Werke das Zentrum einer Arbeiterkooperative war, das 1878 bei der Weltausstellung gezeigt wurde.

Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs der Region schien die ruhmreiche Vergangenheit Kataloniens politisch dem Niedergang geweiht. Gaudí wurde von nationalistischer Begeisterung erfasst und schloss sich in dem "Centre Excursionista" einer Gruppe junger Männer an, die zu den historischen Stätten ihrer katalanischen Vergangenheit pilgerten. Zeit seines Lebens sprach er nur katalanisch. Nicht auf politische Art, sondern natürlich und emotional war er seiner Heimat verbunden, fasziniert von den großen gotischen Kathedralen und der Mudéjar-Architektur Spaniens.

Bei seinen eigenen Entwürfen war Stilreinheit nicht Gaudís Sache. Er ahmte nie nach, sondern ließ sich inspirieren und versuchte neue Erkenntnisse zu gewinnen. Die Mischung unterschiedlicher Baustile war vermutlich auch der Grund für die mangelnde offizielle Anerkennung. Sein einziger Auftrag aus öffentlicher Hand war eine Straßenlaterne an der Plaça Reial in Barcelona.

Dagegen wurde er bereits 1883 im Alter von 31 Jahren als junger und unbekannter Architekt der Nachfolger von Francisco de Paula de Villar, des Projektleiters der Sagrada Familia. Vermutlich hat er sich durch seine Mitarbeit am Kloster Montserrat und kleinere Arbeiten in einer Mischung aus Neugotik und spanischer Keramiktradition dafür qualifiziert. Er begann mit dem Bau des Gotteshauses ein Werk, das ihn bis zu seinem Tod, 43 Jahre später, beschäftigen sollte, einige Jahre sogar ausschließlich.

Dies schien der Beginn einer steilen Karriere zu sein. Noch im gleichen Jahr begannen die Arbeiten an der Casa Vicens in Barcelona, dem Wohnhaus eines reichen Ziegeleibesitzers, und an der Casa El Capricho in Santander. Mit der Kombination aus Bruchstein und Keramikfließen, verbaut im Mudéjar-Stil, setzte Gaudí eine regelrechte Modewelle in Gang.

Gleichzeitig vertiefte Gaudí die Bekanntschaft mit einem Mann, der sein gesamtes Werk nachhaltig beeinflussen sollte, sein späterer Freund und lebenslanger Förderer Eusebi Güell i Bacigalupi.

Güell war eine typische Erscheinung des neuen Katalonien: durch Textilfabrikation vermögend geworden und der Kunst sehr zugetan. In Gaudí fand er sein Ideal: die Verbindung von künstlerischem Genie und sozialem Engagement sowie zutiefst katalanischer Gesinnung. Andererseits war Gaudí fasziniert von Güells seltener Kombination von Adel, Finanzkraft und den Einsatz für die unteren Gesellschaftsschichten. Als er für Güell ein Wappen entwarf, fügte er die Worte ein: "Gestern ein Schäfer, heute ein Mann von Adel", um so die Karriere von Güell zu umreißen. 1884 gestaltete Gaudí Güells Gut in Barcelona um, in dem sich heute der Gaudí-Lehrstuhl der Technischen Hochschule befindet. 1886 begannen die Arbeiten an Güells Wohnhaus, das sich zu einem wahren Palast ausweitete. Statt mit festen Plänen zu arbeiten, entwickelte Gaudí die Konstruktionen wie Pflanzen in der Natur, die ständig wachsen. So wurde der "Palacio Güell" zu einem unnachahmlichen Werk der Phantasie.

"Gaudís Bauten haben Barcelona verändert. Sie haben der Stadt ihr aufrührerisches und mit Leben gefülltes Aussehen zurückgegeben, das ihr die meisten der sogenannten modernen Konstruktionen genommen hatten."
(Guillaume Apollinaire, Dichter, 1916)

1898 beauftragte Güell Gaudì mit dem Bau einer Kirche für eine Textilfabrikanlage mit angegliederter Arbeitersiedlung in Santa Coloma de Cervello. Die Vorplanung dauerte 10 Jahre, weil er offensichtlich nach völlig neuen, überraschenden Lösungen suchte.1908 wurde mit dem Bau begonnen und 1914  wurden die Arbeiten mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges und dem Zusammenbruch der Textilindustrie entgültig eingestellt. Fertiggebaut ist nur die Krypta mit dem Portikus, aber dieses Fragment ist bereits so genial, dass man es zu Gaudìs Meisterwerken rechnen kann.

Nach einem kurzen Intermezzo mit strengen gotischen Bauten wie dem Bischofspalast von Astorga und der "Casa de Los Botines" in Léon entwickelte Gaudí in den folgenden Jahren endlich den ihm eigenen Stil in Vollendung und konzentrierte sein Schaffen auf Barcelona. Er entfernte sich von jeglicher Imitation. Allenfalls findet man in der "Casa Calvet" noch Anklänge an den Jugendstil.

Mit einem neuen, ehrgeizigen Projekt Güells weitete sich der Einfluß Gaudís aus. In der Gartenstadt "Park Güell" realisiert er ab dem Jahr 1900 zum ersten Mal sein umfassendes Konzept: "der Architekt muss auch Maler und Bildhauer sein". Die Terrassenkonstruktion ist kühn, eine endlos lange Bank erinnert an Miro, und die Gestaltung der Oberflächen und Kanten zeugen von einer inneren Freiheit, die ihresgleichen sucht. Gaudí war niemals ein reiner Theoretiker. Mit seiner Ansicht  "Der Architekt habe nicht die Aufgabe, große Projekte zu erfinden, vielmehr müsse er sie möglich machen", reihte er sich durchaus in die großen Traditionen des 19. Jahrhunderts ein.

In der "Casa Batlló" (1904-1907), die er für einen reichen Baumwollbaron baute, und seinem größten Wohnhausprojekt, der "Casa Milà" (1906-1910) erreichte Gaudí den Höhepunkt seiner organischen Architektur. Die Öffentlichkeit reagierte verblüfft und mit Ironie. Als "Hornissennester" und "Haus der Knochen" bezeichnete man die Gebäude, die viel mehr riesige Skulpturen zu sein schienen.

Gaudí sagte selbst über die Casa Batlló:
"Die Ecken werden verschwinden und die Materie wird sich reichlich in ihren astralen Rundungen offenbaren; die Sonne wird durch alle vier Seiten eindringen und es wird wie eine Vorstellung des Paradieses sein"

Als er eines Tages mit seinem Schüler Juan Bergós den Passeig de Gracia entlang schlenderte, blieb er vor der Casa Milà stehen und sagte:
"An diesem Haus haben 2 Brüder mitgearbeitet: der eine war ein einfacher Mauerer, der andere ein diplomierter Architekt und Dozent. Ob sie es glauben oder nicht, der Mauerer war für mich von weit größerem Nutzen"

Zwischen 1900 und 1914 arbeiteten Gaudí und seine Mitarbeiter außerdem an dem Umbau der Kathedrale von Palma de Mallorca. Dieses Projekt bezog sich hauptsächlich auf den Chor, einige Fenster und Seitenaltäre, sowie die neue Position des Hochaltars. Er musste die Arbeiten aber vor der Fertigstellung abbrechen, weil man es für Verrat an dem ursprünglichen Stil der Kirche hielt. Bis heute zeugt aber u. a. der überaus eindrucksvolle Baldachin in der "Sa Seu" von seinem Schaffen in Mallorca.

Seinen augenscheinlich größten Ruhm erlangte Gaudí im Jahr 1908, als einige Amerikaner ihn baten, ein Hotel in New York zu bauen. Es blieb aber bei Konstruktionszeichnungen. Eine Ausstellung seiner Werke fand mit Unterstützung von Güell in Paris, eine weitere ein Jahr später in Madrid statt.

Ab 1914 widmete er sich ausschließlich der Arbeit an der Sagrada Familia. In diesen Jahren wurde sein Hang zur Einsamkeit und der Loslösung von allem Profanen immer stärker. Bis zu seinem Tod lebte Gaudí als armer Mann. Infolge der allgemeinen Wirtschaftsschwäche durch die Kolonialkriege und den 1. Weltkrieg blieben private Aufträge aus und Güell musste sein Mäzenatentum aufgeben. Man traf Gaudí fast nur noch in seiner Werkstatt zu Füßen der "Großen Kathedrale der Armen". Er wurde ein zutiefst religiöser Mensch und seine genaue Kenntnis der Religion offenbarte sich in der Organisation des Gotteshause. Auf die Frage, ob die Sagrada Familia eine der großen Kathedralen sei, antwortete er:
"Nein, es ist die erste einer ganz neuen Reihe."

Gaudí hatte sich ganz der Kunst verschrieben. In seinem Leben war kein Platz  für Kommerz, Liebe und Familie. Seine große Leidenschaft war die Baukunst im weitesten Sinne, die er mehr und mehr als eine Art Religion ansah, so wie er die Religion, in ihrer Eigenschaft als harmonisches und geordnetes Werk des Schöpfers, in gewisser Weise mit der Architektur gleichsetzte.

Am späten Nachmittag, nach Beendigung seiner täglichen Arbeiten, pflegte er einen Spaziergang zu der Kirche St. Philipp Neri zu unternehmen, um zu beten. Am 7. Juni 1926 erfasste ihn dabei eine Straßenbahn. Wegen seiner zerlumpten Kleidung wurde der Bewusstlose in ein Armenhospital gebracht. Dort machte ihn der Gemeindediener der Sagrada Familia ausfindig und ließ ihn in ein Privatzimmer bringen.

Antoni Gaudí starb am 10. Juni 1926 und wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung in der Krypta der Sagrada Familia beigesetzt.

"In der Persönlichkeit Gaudis, der sich so sehr von den meisten anderen Architekten unterscheidet, lebt das iberische Wesen in Gestalt eines rebellischen Geistes, eines Bewusstseins für Stolz und Würde, das ohne jeden Hochmut auskommt, weiter."
(Juan Bassegoda Nonell)

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